F.J.v.d.Broek: Organismus als der Produzent und Umwelt als das Ergebnis bilden daher eine unzertrennbare Einheit.
Interviewerin: Dabei ist der Organismus ein lebendiges System und sein Produkt - die Umwelt - kein lebendiges System. Ist dann jegliches Erschaffen von Umwelt - also alltägliches Handeln - schon ein künstlerisches Produkt?
F.J.v.d.Broek: In der Ästhetik der Malerei bilden Maler und Bild die Grundelemente der Selbstregulierung. Ich meine aber, daß in der Malerei das Prinzip der Selbstregulierung eine Erweiterung gewinnt, weil sich letztlich das Bild aus dem ursprünglichen Interaktionszusammenhang mit dem Maler löst und selbst zum lebenden System transformiert, das jetzt seinerseits gemäß der vormals erworbenen inneren Kohärenz in eigener Regie eine eigene Umwelt, nämlich den Betrachter, sich schafft.
Interviewerin: Die zuvor unzertrennliche Einheit von Produzent und Umwelt als Ergebnis löst sich also auf?
F.J.v.d.Broek: Erst allmählich löst sich das Bild aus dem Einflußbereich des Malers. In der Herstellphase des Bildes wirkt die Interaktion zwischen dem Künstler und dem Bild. Sie ist bestimmt von der Identität des Malers, die sich im Bild geistig und emotional verwirklicht. In derselben Weise wie der Maler im Prozeß der Rückkopplung seine Gestaltungskraft schrittweise einbüßt, baut das Bild eigene Identität sukzessive auf. Die Dynamik des Bildes wirkt Schritt für Schritt auf seine weitere Arbeit zurück, so daß sich eine Art Selbstregulierung - in eben diesem ursprünglichen Interaktionszusammenhang - herausbildet. Diese Selbstregulierung ist variabel genug, um bei jedem neuen Bild - trotz des Fortwirkens der Identität des Malers - Neues zu schaffen.
Interviewerin: Wo liegt der Unterschied zwischen dem biologischen Verständnis der Autopoiese, das Maturana und Varela haben, und dem Deinigen, das sich auf künstlerisches Schaffen bezieht?
F.J.v.d.Broek: Anstelle der gleichgewichtigen Durchdringung von Produzent und Produkt im biologischen Bereich, kommt es im Ästhetischen zu einer Herauslösung des Produktes aus dem ursprünglichen Interaktionseinfluß und so zu einer eigenen Autonomie des Bildes, die zum Zeitpunkt der Fertigstellung vollständig erreicht ist.
Interviewerin: Und welche Konsequenzen hat das?
F.J.v.d.Broek: Zu diesem Zeitpunkt erlischt die ursprüngliche Interaktion von Maler und Bild. Das Bild hat sich aus dem Einflußbereich des Künstlers befreit. Die eigenständige Wirkungsgeschichte de Bildes als autonome Einheit beginnt. Jetzt erzeugt sich das Bild gemäß seiner eigenen Identität seine eigen Umwelt, nämlich den Betrachter.